Homosexualität ist was aus dem Westen. Und aus dem Osten, Süden und Norden.

Gleich- und trans*geschlechtliche Lebensweisen gab und gibt es überall: im Osten und Westen, Norden und Süden, gestern, heute und morgen. Das wird weltweit von LSBTI betont. So verweisen bestehende Begriffe in Lokalsprachen, die sich auf LSBTI* beziehen, auf die geschichtliche Tatsache, dass LSBTI* „immer Teil der afrikanischen Kultur waren und es auch weiterhin sein werden“ – wie Menschenrechtsaktivist Gift Trapence aus Ghana betont. Mal davon abgesehen, dass auch das, was unter Afrikanisch-Sein verstanden wird, schwer bis nicht zu definieren ist. Stéphane Koche aus Kamerun meint: „Viele unserer Mitglieder kennen den westlichen Lebensstil überhaupt nicht und haben ihre Homosexualität dennoch schon seit ihrer Kindheit empfunden.“ Laut Arsham Parsi von der exiliranischen Organisation IRQR ist nicht Homosexualität, sondern Homophobie ein westliches Konzept. „Wer sich mit der Geschichte auseinandersetzt, kann feststellen, dass sich in östlichen Kulturen viele Hinweise auf Homosexualität finden.“1

In vielen Ländern, wie z.B. Saudi-Arabien, Iran, Malaysia oder Russland, Indien oder Uganda gilt der öffentliche Diskurs über sexuelle Orientierungen als Provokation, als Ausdruck einer vermeintlich verderbten westlichen Moral. So bezeichnete der ehemalige indische Gesundheitsminister Ghulam Nabi Azad Homosexualität einmal als „westliche Krankheit“, für Irans obersten Religionsführer Ali Chamene’i ist sie die vom Westen geförderte „schlimmste Form moralischer Degeneration“ und Russlands Staatspräsident Wladimir Putin fordert, das Land von Schwulen und Lesben zu „reinigen“. Die Ablehnung oder Verfolgung von LSBTI* wird vor dem Hintergrund solcher Aussagen zur einfachsten Strategie, sich vom Westen abzugrenzen und die eigene moralische Überlegenheit zu propagieren. Umso mehr Unterstützung verdienen die LSBTI-Aktivist*innen vor Ort, die trotz offener Verfolgung und Gewalt für ihre Rechte kämpfen.

In einigen Ländern wurden derartige Vorurteile und bis heute bestehende Strafgesetze auch von den damaligen Kolonialmächten eingeführt. Dass Homosexualität dort heute als „westliche Dekadenz“ verstanden wird, ist dann vielmehr Teil des kolonialen Erbes: Überbleibsel der Viktorianischen, christlich begründeten Prüderie.

Doch Menschenrechte kennen keine Himmelsrichtung. Sexuelle und reproduktive Rechte gehören dazu: Alle Staaten haben entsprechende internationale Abkommen unterzeichnet. Die Akzeptanz von Menschen ist kein westlicher, sondern ein universeller Wert. Sie gelten für alle – das ist unverhandelbar.

Hirschfeld-Eddy-Stiftung (2011): Yogyakarta Plus. Menschenrechte für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle in der internationalen Praxis.
www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/schriften/yogyakarta-plus/

Mehr Informationen
Literatur

Thomas Bauer (2011): Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams

Ghandour, Ali (2015): Lust und Gunst – Sex und Erotik bei muslimischen Gelehrten.

Shereen El-Feki (2013): Sex und die Zitadelle. Liebesleben in der sich wandelnden arabischen Welt