Schwulsein sucht man sich aus

Man kann sich nicht aussuchen, in wen man sich verliebt – wohl aber, ob man ein ignoranter Vollpfosten ist.

Die Welt wäre so einfach, wenn wir uns alle aussuchen könnten, in wen wir uns verlieben, wen wir sexy oder attraktiv finden und wer uns den Kopf verdreht. Kein Liebeskummer mehr, keine Eifersucht und keine Scheidungen

Die sexuelle Orientierung kann nicht beeinflusst werden. Genauso wenig wie die Tatsache, mit welcher geschlechtlichen Identität man sich wohl fühlt. Was man aber ändern kann, ist der gesellschaftliche Umgang damit. Warum muss man sich überhaupt entscheiden, zuordnen, in Schubladen stecken lassen? Wir haben heutzutage in so vielem tausend Auswahlmöglichkeiten – nur bei so etwas elementarem wie unserer sexuellen Orientierung und geschlechtlicher Identität sollen wir uns alle in hübsch getrennte und übersichtliche Schächtelchen einsortieren.

Jede*r sollte frei wählen können, wie das eigene Leben geführt werden soll– und dazu gehört natürlich auch die Entscheidung darüber, mit wem man Sex haben möchte und mit wem nicht, mit wem man zusammenleben möchte und mit wem nicht, mit wem man eine Beziehung führen möchte und mit wem nicht.

Klingt nach einer Selbstverständlichkeit und dennoch ist es immer noch nicht einfach, sich als LSBTI in unserer vermeintlich offenen Welt zu behaupten. Denn vielerorts wird Homosexualität noch als krank angesehen, sind Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* und Inter* das Ziel von Anfeindungen, Bedrohungen, (staatlicher) Verfolgung und blankem Hass.

Warum kämpfen dann Lesben, Schwule und Trans* gegen Gewalt und Verfolgung, um Anerkennung und Akzeptanz, wenn sie angeblich stattdessen einfach aufhören könnten, lesbisch, schwul oder trans* zu sein. Macht wenig Sinn, oder?


Homosexualität ist eine Sünde

Stimmt nicht, ich habe lange mit Gott geredet und er meinte, für ihn sei es gleich, ob jemand homo- oder heterosexuell ist. Manche mögen jetzt sagen: „Moment mal! Wie kannst Du es wagen, im Namen Gottes zu sprechen!“ Ja genau: Und in wessen Namen sprichst Du?

Selbst für religiöse Menschen kann diese Aussage mit einigem Nachdenken kein Gewicht haben. Wer etwa mit der Bibel argumentiert, müsste dann auch zahlreiche andere Proklamationen aus der Bibel („Iss keine Schalentiere“, „Heirate die Witwe deines toten Bruders“, „Berühre keine Frau, die ihre Tage hat“) für Sünden und Gebote halten, die entsprechend bestraft werden sollten. In der Regel wird das dann nicht so eng gesehen.

Religiös-begründete Sexualmoral und -politiken richten sich oft auch nicht nur gegen LSBTI*, sondern auch gegen die Selbstbestimmung von Frauen oder heterosexuellen Paaren – etwa wenn auf die Jungfräulichkeit der Frau bestanden wird, Sexualität vor der Ehe oder Verhütungsmittel tabu sind oder sexuelle Gewalt dadurch legitimiert werden soll, dass das oftmals weibliche Opfer zu aufreizend gekleidet gewesen sei.

In allen Religionen gibt es eine Diskussion darüber, ob bestimmte Schriften und Gebote sich auf homosexuelle Handlungen beziehen und sie verdammen (oder nicht) sowie die unterschiedlichsten Antworten darauf. Es gibt viele Gläubige, die im Namen ihrer Religion Lesben und Schwule dämonisieren und eine Bestrafung befürworten. Es gibt aber auch viele Gläubige, die ihren Glauben sehr wohl mit der Akzeptanz von Vielfalt vereinbaren können. Glauben die dann nicht richtig? Sind das keine echten religiösen Menschen? Das zu beurteilen wäre ziemlich anmaßend.

In allen Weltreligionen – sei es nun Christentum oder Judentum, Islam oder Hinduismus – organisieren sich mittlerweile auch LSBTI* in eigenen queeren Gruppen oder Verbänden. Homosexualität und Glaube sind also durchaus miteinander vereinbar. So erklärte zum Beispiel Nushin Atmaca vom Liberal-Islamischen Bund: „Die Liebe, die zwischen homosexuellen Partner*innen entstehen kann, sehen wir genauso wie die Liebe zwischen heterosexuellen Partner*innen als ein Zeichen Gottes, als Ausdruck seiner Liebe und Barmherzigkeit.“


Lesben und Schwule sind krank.

Wenn Lesben und Schwule krank sind, dann lasst uns heute alle krank melden: „Hallo, kann heute nicht zur Arbeit kommen, bin immer noch homosexuell.“

Nein. Homosexualität war nie und ist keine Krankheit. Sie wurde aber früher oft so definiert – mit grausamen Folgen, wie zum Beispiel qualvollen Elektroschock-Therapien und anderen Foltermethoden für die vermeintlich „Kranken“.

Daneben gab es aber in der Menschheitsgeschichte auch immer wieder Zeiten und Gesellschaften, in denen gleichgeschlechtliches Begehren und Liebe als vollkommen okay galten. Auch Transgeschlechtlichkeit ist so alt wie die Menschheit selbst. Erst in der Moderne setzte sich dann gerade im Westen die Sicht von der „krankhaften“ homosexuellen Orientierung durch – Transgeschlechtlichkeit wird bis heute pathologisiert.

In den 1960er Jahren veränderten die Kämpfe von Schwulen, Lesben und Trans* in den USA und anderen Ländern für Gleichberechtigung und Antidiskriminierung die Situation – in den Wissenschaften aber auch in der öffentlichen Betrachtung. Im Ergebnis dieser Kämpfe erkannte auch die Weltgesundheitsorganisation WHO ihren Fehler an. 1992 strich sie schließlich Homosexualität von der Liste der Krankheitsbilder.

Und dennoch gibt es immer noch obskure Angebote, die Homosexualität verurteilen und eine „Heilung“ versprechen: So behaupten etwa Vertreter*innen der so genannten Ex-Gay-Bewegung, eine homosexuelle in eine heterosexuelle Orientierung „umwandeln“ zu können. Diese Behauptung ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Denn was hier als Therapie verkauft wird, ist psychische Gewalt und richtet bei den derartig Behandelten oft schwere gesundheitliche Schäden an. In der Community „beyondexgay.com“ gibt es eindrückliche Erfahrungsberichte von Betroffenen, die erzählen, wie die Umpolungsprozeduren sie ihre seelische und körperliche Gesundheit, Freund*innen, Job und Geld gekostet haben.

Auch hierzulande sind die obskuren „Behandlungen“ mit den gleichen schlimmen Folgen zu finden. Eine Ahnung davon vermittelte die NDR-Reportage „Die Schwulenheiler“, in der sogar Ärzte gefunden wurden, die Homosexualität therapieren wollten. Immerhin: Nach der Veröffentlichung der Fernsehdokumentation zeigten sich die meisten Zuschauer*innen entsetzt bis fassungslos. Vor allem in den sozialen Medien hagelte es entsprechende Kommentare: Ein Facebook-User schreibt: „Ich bin hetero, werde hoffentlich einmal Kinder zeugen und eine kleine Familie haben. Und ich werde jeder Person, ob Pfarrer*in, Lehrer*in, oder sonst wem, jeglichen Umgang mit meinen Kindern verbieten, wenn diese Person behauptet, es sei krank oder abartig, schwul zu sein.“